Universitätskommunikation – Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

„Bergische Transfergeschichten“: Vom Leiten und Lenken des Verkehrs der Zukunft

07.12.2020|11:40 Uhr

Als kürzlich auf der A3 zwischen Solingen und Köln die vierspurige Autobahn auf eine Spur verengt wurde und sich die Reisezeit von 45 Minuten auf satte drei Stunden verlängerte, wurde Jun.-Prof. Dr. Antoine Tordeux am eigenen Leibe wieder einmal verdeutlicht, wie wichtig seine Forschungen zur Optimierung von Verkehrsströmen sind. In den „Bergischen Transfergeschichten“ berichtet der 37-jährige Franzose über sein Fachgebiet Verkehrssicherheit/Zuverlässigkeit in der Sicherheitstechnik an der Bergischen Universität Wuppertal und erklärt, was es mit der Verkehrsflusstheorie auf sich hat und an welchen Verbesserungen im Bergischen Land er gerade mitwirkt.

Jun.-Prof. Dr. Antoine Tordeux.<br /><span class="sub_caption">Foto UniService Transfer</span><br /><span class="sub_caption">Klick auf das Foto: Größere Version</span>

„Die Verkehrsflusstheorie ist eine multidisziplinäre wissenschaftliche Theorie, womit Ingenieur*innen, Mathematiker*innen, Physiker*innen, Informatiker*innen, Elektrotechniker*innen, Soziologen*innen, Psychologe*innen, usw. interagieren, um den Verkehr zu verstehen“, sagt er, denn es gebe viele Paradoxa, die die Wissenschaft bisher noch nicht verstanden habe. Daher finde diese Theorie vor allem Anwendung in der Entwicklung von Verkehrssimulationswerkzeugen, um Verkehrsnetze, Straßeninfrastrukturen und Managementstrategien zu testen und zu bewerten.

Nichtlineare Phänomene

„Einfache Experimente an einer Engstelle, an der die Fahrbahn sich von zwei Spuren auf eine Spur verengt, zeigen, dass Fahrer*innen, die 100 km/h fahren, gezwungen werden auf 10 km/h abzubremsen. Der Fluss wird halbiert, die Geschwindigkeit verkleinert sich um den Faktor 10. Das ist eine typische Facette des Verkehrs, die ihn komplex macht. In der Wissenschaft sprechen wir über nichtlineare Phänomene.“ Diese Phänomene beschreiben nicht eindeutig vorhersehbare, jedoch zumindest abzuschätzende Situationen, die mit neuen Methoden untersucht werden. Im Falle der Fahrbahnverengung wird so von jetzt auf gleich die Kapazität des Verkehrsnetzes überschritten und es kommt zur Akkumulation – einfacher ausgedrückt, sagt Tordeux, „ist das das Prinzip der Sanduhr.“

Experimente zeigen aber auch, dass Stauungen nicht unbedingt immer durch verengte Fahrbahnen, oder Baustellen zustande kommen. „Ein*e Fahrer*in muss den Geschwindigkeitsabstand individuell regulieren, um Kollisionen zu vermeiden und Sicherheitsabstände beibehalten“, erklärt der Wissenschaftler und Experimente dazu zeigen, dass dieses Verhalten Störungen mit sich bringe und die Entstehung von Staus durch sogenannte Stop-and-Go-Wellen auch ohne Engstellen möglich mache.

Stauvermeidung durch automatisiertes Fahren?

Im Fokus seiner Forschungen stehen daher auch Untersuchungen zur Ermittlung der Fahrzeuggeschwindigkeit mittels automatisierten Fahrens. „Mit dem automatisierten Fahren kann die Reaktionszeit reduziert werden und damit die Leistungsfähigkeiten verbessert werden“, erklärt er. Das geschehe anhand des sogenannten Platoonings, eines in der Entwicklung befindlichen Systems für den Straßenverkehr, bei dem mit Hilfe eines technischen Steuerungssystems mehrere Fahrzeuge in geringem Abstand hintereinanderfahren können, ohne dass die Verkehrssicherheit beeinträchtigt würde: „Wir können damit eine verbesserte, optimalere Nutzung der Verkehrsnetze erreichen.“ Allerdings bedeutet das nicht unbedingt die Reduzierung von Staus. Tordeux verweist dazu auf das Downs-Thomson-Paradoxon, welches besagt, dass Verbesserungen im Straßennetz die Verkehrsüberlastung noch verstärken können, wenn die Verbesserungen den öffentlichen Verkehr beeinträchtigen oder wenn sie Investitionen verlagern, die wiederum zu geringeren Investitionen im öffentlichen Verkehrssystem führen. „Das automatisierte Fahren kann aber die Sicherheit der Nutzer*innen erhöhen“, erläutert Tordeux, „denn mehr als 90 Prozent der Unfälle haben menschliches Versagen als Ursache!“ Zudem schone es die Umwelt, sänke die Kosten im Straßenverkehr, ließe führerscheinlose Personen partizipieren und ermögliche andere Tätigkeiten während der Fahrt.

Stop-and-Go-Wellen kontrollieren

Bei der Optimierung von Verkehrsströmen spielen auch Schadstoffausstöße eine große Rolle. Dabei denkt der Laie sofort an Abgase. Kaum einer weiß, dass allein 40 Prozent der Verunreinigungen von Nichtabgasemissionen ausgehen. „Das ist hauptsächlich die Abnutzung der Reifen und der Bremsbeläge. Sie tragen zur Feinstaubbelastung der Städte bei“, sagt Tordeux. „Die Kontrolle von kollektiven Stop-and-Go Wellen z. B. mittels stabilen, automatisierten Abstands- und Geschwindigkeitsregelanlagen oder die optimale Stabilitätskontrolle können hier eine Rolle spielen.“ Schwierig sei eine umfassende Schadstoffausstoßermittlung, erklärt er, denn dazu müsse man die Gesamtheit der Emissionen des Verkehrs schätzen, also auch den Lebenszyklus jedes einzelnen Fahrzeugs. Auch das zukunftsweisende Elektroauto habe da so seine Tücken, denn „Elektroautos z. B., selbst wenn sie keine Abgasemissionen produzieren, fangen erst zwischen ca. 80.000 und 120.000 Nutzungskilometern an, ökologischer als Verbrenner zu sein. Und auch die Produktion der Batterie ist nach wie vor ein sehr umweltschädliches Verfahren.“

Optimale Ampelsteuerung am Robert-Daum-Platz

Den Verkehr im Bergischen Land hat der Wissenschaftler, dessen Junior-Stiftungsprofessur für die Dauer von sechs Jahren von der Eugen-Otto-Butz-Stiftung aus Hilden gefördert wird, immer vor Augen. „Wir versuchen im Rahmen des Projekts Bergisch.Smart.Mobility (www.bergischsmartmobility.de) einige Kreuzungen im Bergischen Land, z. B. am Robert-Daum-Platz in Wuppertal oder an der Bonner Straße/Langhansstrasse in Solingen, durch Optimierung der Ampelsteuerung und Straßeninfrastrukturen zu verbessern“, sagt Tordeux. Wichtig sei vor allem, durch die Entwicklung einer geeigneten und sicheren Infrastruktur, die Verkehrsmittelwahl der Verkehrsteilnehmer*innen zu begünstigen. In Bezug auf ein Auto sagt er: „Denken Sie daran, dass die durchschnittliche Anzahl der Personen pro Fahrzeug nur 1,2 Personen beträgt und dass Parksuchverkehr bis zu 30 Prozent des Verkehrs in Innenstadtbereichen ausmachen kann.“ Die Situation in Wuppertal sei überdies komplexer, da auch das Fahrrad im hügeligen Stadtbereich viele Nutzer*innen einschränke. Multimodale Lösungen, also Möglichkeiten der Verkehrsteilnehmer*innen, für ihre individuellen Mobilitätsbedürfnisse mindestens zwei Verkehrsmittelalternativen zur Verfügung zu haben, zieht Tordeux daher als sinnvolle Möglichkeit in Betracht.

Eine gesunde Mischung muss her, um den Verkehr der Zukunft zu leiten und zu lenken. Bis zum „Weg von mit fossilen Brennstoffen angetriebenen Autos hin zu Rad-, Elektro- und Öffentlichem Nahverkehr“ ist es noch ein langer Forschungsweg, an dem die Arbeit des studierten Mathematikers Antoine Tordeux großen Anteil hat.

Uwe Blass

Die komplette Transfergeschichte lesen Sie auch hier.


Antoine Tordeux studierte Mathematik an der Université Paris-Est, wo er 2010 mit einer Analyse von zeitkontinuierlichen Prozessen für die Modellierung von Straßenverkehr promovierte. Bis 2012 war er dort Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Danach wechselte er nach Wuppertal und arbeitete bei Prof. Dr. Armin Seyfried am Lehr- und Forschungsgebiet Computersimulation für Brandschutz und Fußgänger sowie am Institut for Advanced Simulation, Selection Civil Safety im Forschungszentrum Jülich. 2018 übernahm er die von der Eugen-Otto-Butz-Stiftung aus Hilden geförderte Juniorprofessur für Verkehrssicherheit/Zuverlässigkeit in der Fakultät für Maschinenbau und Sicherheitstechnik.

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