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„Jahr100Wissen“: Die Kreation einer Ikone

28.09.2020|14:16 Uhr

In der Reihe „Jahr100Wissen“ beschäftigen sich Wissenschaftler*innen der Bergischen Universität mit 100 Jahre zurückliegenden Ereignissen, die die Gesellschaft verändert und geprägt haben. 1920 wurde das Parfüm Chanel N° 5 erfunden. Im Interview spricht Lebensmittelchemikerin Prof. Dr. Julia Bornhorst unter anderem darüber, was den Duft so erfolgreich macht und erklärt, welchen Einfluss Gerüche auf das menschliche Gehirn haben.

Prof. Dr. Julia Bornhorst <br /><span class="sub_caption">Foto UniService Transfer</span><br /><span class="sub_caption">Klick auf das Foto: Größere Version</span>

Vor 100 Jahren wurde der erfolgreichste Damenduft aller Zeiten, Chanel Nº 5, erfunden. Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit alle 30 Sekunden ein Flakon verkauft wird. Woraus besteht eigentlich ein Parfüm?

Bornhorst: Das ist eine spannende Frage, die uns Lebensmittelchemiker*innen häufig beschäftigt, weil wir uns nicht nur mit Lebensmitteln, sondern auch mit Kosmetika und Bedarfsgegenständen befassen. Parfüm ist definiert als ein Riechstoff, der den Körpergeruch überdecken oder einen Duft verändern soll. Es besteht hauptsächlich aus Alkohol plus destilliertem Wasser, dem man zusätzlich – früher häufiger als heute – ätherische Öle, sowohl aus Blumen als auch aus tierischen Produkten, zusetzt. Heute benutzt man weniger natürliche Essenzen als vielmehr synthetische Stoffe. Dadurch erhält ein Parfüm ein aufregendes Duftbouquet aus ganz verschiedenen Verbindungen. Es können zwischen 12 und 600 Verbindungen sein, die die Gesamtnote ausmachen. Daran sieht man auch, wie eng die Parfümherstellung mit der eigentlichen Chemie verknüpft ist. Enthalten sind zahlreiche Aldehyde, d.h. viele kleine, flüchtige Verbindungen, die beim Auftragen im Idealfall direkt die Nase erreichen.

Spannend dabei ist die Tatsache, dass sich der Duft eines Parfüms aus drei unterschiedlichen Noten zusammensetzt. Zuerst haben wir die Kopfnote, dann die Herznote und schließlich die Basisnote. Die Kopfnote ist die, die die Kund*innen im Geschäft überzeugt, das Produkt zu kaufen. Es ist der erste Eindruck, den man durch Auftragen und Riechen erhält. Die Herznote zeigt einem mehrere Stunden später, wie sich das Parfüm mit dem eigenen Körpergeruch verbindet. Daher werden hier häufig sehr viele blumige Noten verwendet. Die Basisnote ist für den langanhaltenden Geruch verantwortlich. Hierbei handelt es sich eher um schwere Verbindungen, in denen teilweise auch tierische Moschusaromen einsetzt werden. Man unterscheidet diese drei Noten ganz klar voneinander. Für die häufige Nutzung eines Duftes sind eher die Herz- und Basisnote entscheidend und nicht die spontane Entscheidung im Geschäft.

Kreiert wurde Chanel Nº 5 von dem ehemaligen französischen Chemiker und Parfümeur des russischen Zarenhofes, Ernest Beaux. Es besteht aus genau 31 Parfüm-Rohstoffen. Welche sind das zum Beispiel?

Bornhorst: Beim Parfüm nutzt man vor allem sehr kleine Moleküle, weil diese flüchtig sein müssen, damit sie die Nase direkt erreichen. Bei Chanel Nº 5 hat man erstmalig eine Aldehydüberdosis kreiert, d.h. man hat mit vielen synthetischen Aldehyden gearbeitet. Das war zur damaligen Zeit etwas ganz Besonderes. Die Kopfnote wird geruchlich von einem strahlendfrischen, leicht metallisch-wachsig-rauchigen Aldehyd-Komplex dominiert, mit seinen typischen Anklängen an Rosenblätter und Orangenschalen. Die zitrusartigen Facetten werden durch Bergamottöl, Linalool und Petitgrainöl aufgenommen und unterstrichen. Die Herznote wird u.a. von den Dufteckpfeilern Jasmin, Rose, Maiglöckchen, Iris-Butter und Ylang-Ylang-Öl aufgespannt. Weitere Bestandteile sind Mairose, Neroli-Essenz und brasilianische Tonkabohnen. Nuanciert wird dieser Duft durch Sandelholz- und Patchouliöl. Vanillin, Coumarin und Storax leiten dann zum betont sinnlichen Moschus-Komplex über, der im Schlussakt der Komposition das Thema bestimmt und im Original von 1921 aus echten Moschusanteilen bestand. So entstand eine enorm breite Duftnote.

Interessant ist, dass Chanel bis heute damit wirbt, dass bei der Herstellung neben synthetischen Stoffen Extrakte von Jasmin und Mairose verwendet werden, die in Grasse angebaut werden. Das prägt sowohl die Kopf- als auch die Basisnote und das ist außergewöhnlich für so ein Edelparfüm.

Coco Chanel wollte diesen Duft ursprünglich nur als kleines, auf 100 Flakons limitiertes Weihnachtsgeschenk für ausgewählte Kundinnen ordern und war von der Nachfrage überwältigt, sodass das Parfüm 1922 in Produktion ging. Was ist das Betörende an diesem Duft?

Bornhorst: Chanel Nº 5 war revolutionär, denn damals gab es mehr Parfüms, die nur an eine bestimmte Blume erinnert haben. Chanel Nº 5 ist aber ein Gesamtensemble aus verschiedenen blumigen aber auch tierischen Essenzen. Durch die Nutzung der Aldehyde hat man der Kreation einen unfassbaren Schwung gegeben, denn die Stoffe hatten eine ungeheure Diffusionskraft, d.h. diese Duftzusammensetzung war bei den Damen auch über einen längeren Zeitraum riechbar. Coco Chanel hat damals gesagt, sie kreiere ein Parfüm für Frauen, das den Duft der Frauen trägt. Schon durch das Marketing hat sie den Kundinnen das Gefühl gegeben, der Duft übertünche nicht den eigenen Geruch, sondern vervollkommne sie.

Auch der Flakon hat eine ganz eigene Form. Sehr zurückhaltend hat man sich eher an einem Behältnis für Herrendüfte orientiert. Diese Schlichtheit hat sich bis heute nicht verändert. Außerdem hat man hat früh erkannt, wie wichtig das Marketing für den Verkauf ist. Zuerst hat Coco Chanel als Stilikone ihr Parfüm selbst vermarktet. Anschließend warb Marylin Monroe mit dem Slogan „Ich trage nachts nichts außer ein paar Tropfen Chanel Nº 5für den Duft, was einen enormen Absatz des Parfüms zur Folge hatte. Später hat man Berühmtheiten wie Catherine Deneuve gewinnen können und mit Brad Pitt sogar das erste männliche Model eingesetzt, das ein Parfüm für Frauen bewirbt. Chanel Nº 5 betört durch den eigentlichen Duft, den Flakon und die sehr gute Marketingstrategie.

Gibt es eigentlich Duftstoffe, die den Menschen manipulieren?

Bornhorst: Auf jeden Fall! Der menschliche Geruchssinn ist Teil des Gehirns. Wenn wir etwas riechen, merken wir uns nicht die chemische Verbindung, sondern wir speichern es ab als Emotion, als Sinneseindruck und verbinden es meist auch mit sozialen Aspekten. Wenn man Kamingeruch wahrnimmt, dann hat man oft ein positives, wohliges Gefühl, bei dem Geruch von frischem Brot freut man sich aufs Frühstück. Genauso verhält es sich auch bei Düften. Auch die Partnerwahl wird so gesteuert.

Der Geruchssinn ist unfassbar wichtig für uns, auch um uns vor Gefahren zu schützen. Brandgeruch lässt uns handeln oder vor der Gefahr fliehen. Andere Gerüche, wie z.B. der Besuch eines Jahrmarktes mit Zuckerwatte und Bonbons, animieren zum Kauf und Verzehr von Süßigkeiten. Das Riechen ist direkt mit der Emotion verbunden. Die Riechnerven sind Nervenzellen, sogenannte Neuronen. An ihren Ausläufern sitzen die unterschiedlichen Rezeptoren, an denen sich die nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip ankommenden Düfte andocken, ein Signal auslösen und über den Riechkolben geleitet direkt ins Gehirn gesendet werden. Dort wird zu jedem Duft eine bestimmte Emotion abgespeichert. Jedes Neuron trägt ein Gen für einen spezifischen Duft – und wir reden hier von Millionen von Nervenzellen. Für die Forschung zu diesem Thema hat es erst 2004 den Nobelpreis gegeben. Die Auszeichnung im Bereich Medizin und Physiologie ging an die „Entdeckung der Geruchsrezeptoren und der Organisation des olfaktorischen Systems“. Es hat lange gedauert, um diesen Prozess zu charakterisieren. Gehirn und Riechen müssen wir in engem Zusammenhang betrachten.

Nach welchen Kriterien suchen Sie ein Parfüm aus?

Bornhorst: Ich mag es persönlich eher frisch und blumig und nicht zu intensiv in der Basisnote. Ich achte immer darauf, dass ich sowohl Parfüms als auch parfümierte Deodorants oder Duschgels regelmäßig wechsele, weil es einen sogenannten Adaptationseffekt gibt. Wenn man immer das gleiche Parfüm verwendet, braucht man immer mehr davon, um den Duft selber wahrnehmen zu können. Die Nervenzellen bilden sich alle fünf bis sechs Wochen neu. Um sich also nicht an diesen Adaptationseffekt zu gewöhnen, sollte man sich auch mal eine Pause von seinem Lieblingsduft gönnen.

Uwe Blass

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Prof. Dr. Julia Bornhorst studierte und promovierte an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster. Sie arbeitete fünf Jahre am Institut für Ernährungswissenschaft der Universität Potsdam. Seit Januar 2019 ist sie Professorin für Lebensmittelchemie an der Bergischen Universität.

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