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„Jahr100Wissen“: Schaumzucker aus der Mäusefabrik

25.05.2021|11:01 Uhr

In der Reihe „Jahr100Wissen“ beschäftigen sich Wissenschaftler*innen der Bergischen Universität mit Ereignissen, die 100 Jahre zurückliegen und von besonderer Bedeutung für die Gesellschaft waren. Im Interview spricht Lebensmittelchemikerin Prof. Dr. Julia Bornhorst über Marshmallows, Kult-Mäuse aus Berlin und Naschen in Maßen.

Prof. Dr. Julia Bornhorst<br /><span class="sub_caption">Foto Sebastian Jarych</span><br /><span class="sub_caption">Klick auf das Foto: Größere Version</span>

Vor 100 Jahren erschuf der Traditionsbetrieb Aseli in Berlin, der sich auch Original Berliner Mäusefabrik nennt, die aus Marshmallow bestehenden weißen Mäuse. Woraus besteht Marshmallow überhaupt?

Bornhorst: Marshmallow ist eine Schaumzuckerware. Den Hauptanteil mit fast 75 Prozent nimmt Zucker ein. Zudem sind weitere Inhaltstoffe wie zum Beispiel Eischnee, Geliermittel sowie Aroma- und Farbstoffe darin enthalten. Das sind alles Zutaten, die auch in vielen Haushalten zu finden sind. Man kann Marshmallows daher auch selber machen. Die Zutaten sind Speisestärke, Puderzucker, Pflanzenöl, Gelatine, Vanillezucker, eine Prise Salz, Wasser und eventuell flüssige Lebensmittelfarbe, die ein schönes Marmormuster entstehen lässt. Dazu gibt es verschiedenste Rezepte.

Ursprünglich wurden Marshmallows aus dem Saft der Wurzeln des Echten Eibischs (Althaea officinalis) hergestellt. Um welchen Teil der Pflanze handelt es sich dabei?

Bornhorst: Früher hat man den Saft des Echten Eibischs als Geliermittel genutzt. Der Name Marshmallow leitet sich von der englischsprachigen Bezeichnung marsh mallow (deutsch: Sumpf-Malve) für den Eibisch ab. Der Echte Eibisch ist eine aufrechte, mehrjährige, krautige Pflanze mit kräftigen Sprossachsen (Stängeln). Für Marshmallows wurden sowohl die Stängel und Blätter als auch die Wurzeln verwendet. Später wurden die Marshmallows mit Gummi arabicum, einer Absonderung der Akazienbäume hergestellt. Heute wird aus Kostengründen meist Gelatine als Geliermittel verwendet, es sind aber auch Marshmallows mit koscherer Fischgelatine oder pflanzlichem Geliermittel (Agar, Carrageen) erhältlich sowie Produkte, die ganz auf Geliermittel verzichten.

Eibisch wurde vor der Nutzung als Naschzutat schon zu medizinischen Zwecken verwendet. Welche waren das?

Bornhorst: Hauptsächlich hat man den Eibisch aufgrund seiner Eigenschaft als Schleimstoff benutzt. Dabei hat man festgestellt, dass diese Schleimstoffe einhüllend, reizmildernd und lindernd sind. Im Tierversuch konnte man die entzündungshemmende und immunstabilisierende Wirkung auch nachweisen. In der Antike galt Eibisch als heilsam gegen Geschwulste und Eingeweideschmerzen. Der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) hat gerade eine Monografie zur Eibischwurzel veröffentlicht. Darin werden die traditionellen Indikationen für verschiedene Zubereitungen bestätigt, also zum Beispiel als reizlinderndes Arzneimittel bei Entzündungen des Mund- und Rachenraums, zur Minderung des Hustenreizes und bei leichten Entzündungen im Magen-Darm-Bereich.

Heute wird Eibisch meist durch Schweinegelatine ersetzt. Marshmallows kann man auf einem Stock über offenem Feuer schmelzen, in Miniform in Kakao einstreuen oder in schokolierter Form essen. Wie „un“-gesund ist diese Süßigkeit?

Bornhorst: Bei dem Konsum sollte man auf jeden Fall im Hinterkopf behalten, dass der Hauptanteil der Inhaltsstoff Zucker ist. Eine hohe und häufige Zuckerzufuhr fördert die Entstehung von Übergewicht und Adipositas sowie zahlreiche mit Übergewicht assoziierte Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2 und kardiovaskuläre Erkrankungen sowie die Entstehung von Karies. Somit wird von Fachgesellschaften zu einer eher zuckerarmen Ernährung geraten.

Wieviel Zucker sollte ein Mensch am Tag zu sich nehmen?

Bornhorst: Heute gibt es zunehmend Studien, die einen Zusammenhang zwischen hohem Zuckerverzehr und dem Risiko für chronische Krankheiten belegen. Das haben Expert*innen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) und der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) festgestellt und daraus quantitative Empfehlungen für die Zuckerzufuhr der deutschen Bevölkerung abgeleitet. Nicht mehr als 10 Prozent des täglichen Kalorienbedarfs von durchschnittlich 2000 Kilokalorien sollen in Form von Zucker konsumiert werden, das sind maximal 50 Gramm, also ca. zehn Teelöffel freier Zucker.

Daten aus Verzehrstudien zeigen allerdings, dass die Zufuhr freier Zucker in Deutschland insbesondere bei jüngeren Altersgruppen deutlich über der Empfehlung liegt. Im August 2020 schlug die Presse hohe Wellen mit dem sogenannten „Kinder-Überzuckerungstag“; das hieß, bis August hatten Kinder und Jugendliche bereits so viel Zucker konsumiert, wie für ein ganzes Jahr empfohlen wird. Natürlich kann man sich nicht ganz verschließen, aber man sollte alles in Maßen konsumieren und die Gesamtzuckeraufnahme im Blick behalten. Dazu gehört vor allem auch versteckter Zucker.

Von den vor 100 Jahren in Berlin kreierten weißen Mäusen kommt höchstwahrscheinlich auch der Begriff „Mäusespeck“. Marshmallows kann man in verschiedenen Formen essen, sie dienten als Belohnung in einer psychologischen Kinderstudie der 60er Jahre, dem sogenannten Marshmallow-Test, sind Namensgeber für die Android-Version 6 und finden sich auch in Form eines riesigen Marshmallowmanns im Kinofilm „Ghostbusters“ wieder. Was verbinden Sie mit diesem Schaumzucker?

Bornhorst: Ich verbinde mit Schaumzucker bzw. dem Mäusespeck besondere Ereignisse. Also Geburtstage, wo es dann zu dem besonderen Anlass Süßwaren gab. Ich persönlich greife eher zu Schokolade und esse Mäusespeck eher auf Feiern, wenn es sowieso auf dem Tisch steht. Während meines Post-Doc-Aufenthaltes in den USA habe ich zudem gelernt, dass man ein sehr leckeres, knuspriges Gratin aus Süßkartoffelpüree mit Marshmallowkruste backen kann. Aber auch das war etwas Besonderes zu Thanksgiving.

Uwe Blass

Das vollständige Jahr100Wissen-Interview lesen Sie hier.


Julia Bornhorst studierte und promovierte an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster. Sie arbeitete fünf Jahre am Institut für Ernährungswissenschaft der Universität Potsdam. Seit Januar 2019 ist sie Professorin für Lebensmittelchemie an der Bergischen Universität.

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