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Von der Vermittlung fremder Sprachen und Kulturen –Eine Bergische Transfergeschichte mit Prof. Dr. Matei Chihaia

04.12.2019|10:05 Uhr

„Ich möchte den Studierenden vermitteln, dass man versuchen sollte, über den Tellerrand zu schauen und ein Bürger dieser Welt zu sein“, sagt Dr. Matei Chihaia, Professor für Französische und Spanische Literaturwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal, in der aktuellen Bergischen Transfergeschichte. Ein Anliegen, das nicht von ungefähr kommt. Es ist vielmehr die logische Entwicklung aus seiner vielseitigen Vita heraus.

Prof. Dr. Matei Chihaia.<br /><span class="sub_caption">Foto UniService Transfer</span><br /><span class="sub_caption">Klick auf das Foto: Größere Version</span>

Geboren in Bukarest, der Hauptstadt Rumäniens, wächst der heutige Literaturwissenschaftler zweisprachig – rumänisch und französisch – auf. 1979 beantragen seine Eltern Asyl in Deutschland und Chihaia durchläuft das komplette deutsche Schulsystem. Die deutsche Kultur sei für seine Eltern sehr wichtig gewesen. Der Prozess der Integration habe für ihn eine große Rolle gespielt, nicht nur die Einschulung: „Ich habe eine neue Sprache entdeckt. Auch die Liebe zur deutschen Literatur hängt damit zusammen, da sie für mich diesen Reiz des Exotischen hatte. Es war der Versuch, durch die Bücher mehr von Deutschland zu verstehen und mehr über dieses Land zu lernen. Natürlich wurde Deutsch dann mein Lieblingsfach“, verrät er. Verwandtschaftliche Kontakte nach England erweitern seinen Sprachenradius um das Angelsächsische und mit der Gemeinde der emigrierten Argentinier*innen, die ihn in Köln herzlich aufnimmt, entsteht die Begeisterung für das Spanische.

„Diese Neugier auf andere Kulturen habe ich immer noch“, sagt er und lacht. „Ich bin in den 80er Jahren groß geworden, in denen vernetztes Denken das Stichwort war. Es kam darauf an, einzelne, kulturelle Erscheinungen nicht als isolierte Phänomene zu betrachten, sondern im Gesamtzusammenhang zu sehen“, erklärt Chihaia. „In der Kulturwissenschaft stellt man doch auch fest, dass ein Autor in einer bestimmten Zeit lebt und alle kulturellen Erscheinungen, die es in dieser Zeit gibt – und alles was vorher war – für diesen Autor eine Rolle spielen.“ In der multikulturellen Umgebung, in der Chihaia aufwächst, wird Sprache zum zentralen Thema. Er studiert Komparatistik, Romanistik und Philosophie und schreibt Seminararbeiten zur französischen, englischen und chinesischen Literatur. „Ich wollte tatsächlich die Weltliteratur in ihrer Gesamtheit kennenlernen.“

Die Ergänzung von Erlesenem und Erlebtem in der Literatur

Heute vermittelt Matei Chihaia deutschen Studierenden ein Gefühl für die spanische und lateinamerikanische Kultur. Dabei unterstützen ihn auch die diversen Angebote, mit denen seinen Studierenden ermöglicht wird, das Land der fremden Sprache kennenzulernen: „Es braucht immer eine Reise in dieses Land. Und deswegen bin ich glücklich, dass wir hier so viele Mobilitätsprogramme haben. Es gibt so viele Möglichkeiten, Studienplätze in anderen spanischsprachigen Ländern zu bekommen. Die Studierenden haben immer die Chance, ein Semester oder sogar ein Jahr in einem solchen Land zu verbringen“, erklärt er. Für Lehramtskandidat*innen ist ein Auslandsaufenthalt sogar verpflichtend. Werdende Spanischlehrer*innen müssen einen dreimonatigen Aufenthalt in einem spanisch sprechenden Land absolvieren. „Das ist sinnvoll“, sagt Chihaia, „denn man will nicht nur die Sprache vermitteln, es geht auch um Landeskunde und die Kultur.“

Gemeinsam mit der Anglistin Prof. Dr. Bärbel Diehr betreibt er seit 2018 gemeinsam das Nicaragua-Projekt „LABor“ (Learning across the borders) mit der Universidad Centroamericana (UCA) in Managua. Darin arbeiten Studierende in binationalen Tandems und reflektieren sowohl die individuellen Unterschiede in der Interaktion zwischen deutschen und nicaraguanischen Studierenden, als auch die soziokulturellen Realitäten der beiden Länder. Das Projekt bietet einen authentischen Lernkontext, der bei allen Teilnehmer*innen ein kritisches, kulturelles Bewusstsein fördern soll. Da das gesamte Projekt im „Blended Learning“ verläuft – einem Lernmodell also, das computergestütztes Lernen über das Internet mit klassischem Unterricht kombiniert – stellt es für Lehrende gleichzeitig eine neue Herausforderung dar. „Das ist eine neue Aufgabe für uns als Lehrende, diesen kritischen Umgang mit Medien zu unterrichten. Wie können sie bestimmen, was nun Fake News sind oder zuverlässige Nachrichten? Das wiederum verbindet alle Teile der Philologien: die Fachdidaktik, die Literaturwissenschaft und die Sprachwissenschaft.“

Kurze Geschichte der Spanischen Literatur

Der Wissenschaftler ist sich seiner Zielgruppe immer bewusst und arbeitet derzeit an der Herausgabe einer kurzen Geschichte der spanischen Literatur für deutsche Studierende. „Es wird eine Literaturgeschichte sein, die bestimmte Bedingungen erfüllen muss: Sie muss kurz und für Studierende geschrieben sein, die nicht viel Zeit haben, sie muss auf Spanisch sein und sie muss möglichst wenig Voraussetzungen enthalten.“ Dieses Projekt, das er mit drei Kolleginnen bearbeitet, ist vor allem vor dem Hintergrund der Voraussetzungslosigkeit besonders anspruchsvoll. Denn: „Eine Literaturgeschichte erwartet immer, dass man die Literatur kennt, literarische Texte kennt. Wir versuchen stattdessen ausführliche Zitate aus literarischen Texten zu liefern. Die meisten Literaturgeschichten sind sehr schwer zu lesen und sehr lang.“ Ihr 2021 erscheinendes Buch „Breve historia de la literatura espanola“ soll eine entscheidende Hilfestellung bieten.

Das Thema „Gewalt“ hat sich verändert

Chihaias Themenvielfalt, sein Interesse an so vielen Bereichen der Literatur scheint unermesslich. Eines seiner Forschungsgebiete ist das Thema der verbalen Gewalt. „Wie manifestiert sich heutzutage sprachliche Gewalt, wie manifestiert sich sprachlich-literarische Bändigung von Gewalt? Das ist das Thema meines Sammelbandes über die Gewalt als Rahmen der Interpretation von Literatur.“ Der 46-Jährige erklärt die zunehmende Bedeutung von Gewalt, die allein in den letzten 20 Jahren in der Literaturinterpretation Lateinamerikas zum vorrangigen Thema geworden ist. „Es hat immer viel Gewalt gegeben. Die 70er Jahre waren dort hinsichtlich der Diktaturen eine ganz schreckliche Zeit. Aber Gewalt hat sich verändert. Auch die Art, Gewalt wahrzunehmen. Man ist nun sensibler für verbale Gewalt und auch sensibler für Formen von symbolischer Gewalt, d.h. dem Aufzwingen von bestimmten Normen durch eine Mehrheit, der sich dann die Minderheit unterwerfen muss. Gendergerechte Sprache ist ein solches Beispiel. Wenn wir versuchen, Gewalt gegen Frauen einzudämmen, dann gehört es dazu, eine sprachliche Diskriminierung von Frauen zu vermeiden. Damit beschäftige ich mich.“

Dass Gewalt in fast allen literarischen Themen seinen Platz hat, überprüfte der Wissenschaftler jüngst in einem aktuellen Seminar mit seinen Studierenden. „Ich habe in der ersten Stunde meine Studierenden gefragt, was sie für literarische Texte kennen, in denen Gewalt erscheint“, führt er aus und kommt mit Ausnahme von Gedanken- und Landschaftslyrik zu dem Schluss, dass „alles, was als Erzählung bezeichnet wird und auch alle Dramen, gar nicht ohne gewaltsame Konflikte auskommen.“ Dazu stellt er zwei Thesen auf, die die Bedeutung von Gewalt in der Literatur verdeutlichen. „Die eine ist, dass Literatur eine Hilfe darstellt, um mit Gewalt umzugehen. Aristoteles spricht von einer Katharsis, einer Reinigung von Gewalterfahrungen. Es hat somit eine prophylaktische Funktion: Man lernt Gewalt in der Literatur kennen und wird dann davor bewahrt. Oder die Literatur ist eine moralische Anstalt, wie es Lessing formuliert. Und die andere These ist, dass wir Gewalt natürlich genießen. Wir genießen es, uns der Gewalt zu überlassen – deshalb lesen wir Krimis so gerne.“

Bei seinen Forschungen über Gewalt im Drama des 17. Jahrhunderts, fand er heraus, dass die Menschen schon damals die Frage stellten, ob das Theater die Leidenschaften der Zuschauer entgleisen lässt und stellt beim Vergleich der barocken Befürchtungen von damals mit der heutigen Diskussion über Egoshooter-Spiele im Internet fest: „Die Argumente damals und heute sind sehr ähnlich.“

Mode – Tattoos – Piercing

Gedanken macht sich Chihaia auch über scheinbar banale Themen wie Mode, Tattoos oder Piercings, die sich im Gespräch dann als durchaus interessant entpuppen. „Ein Interesse für Mode stammt aus meiner Begeisterung für die französischen Strukturalisten und für Roland Barthes, der ,Das System der Mode' geschrieben hat“, erklärt er. „Mit Mode drücken wir etwas aus und wir kommunizieren über das, was wir tragen.“

Auch zu den Themen Piercing und Tattoos hat der Literaturwissenschaftler eine Meinung: „Es ist ein Beispiel für Kunst, die buchstäblich unter die Haut geht. Das interessiert mich, weil ich mich für die Art, wie wir Literatur und Kunst wahrnehmen, interessiere. Was macht es mit den Betrachtern? Die Haut ist das Organ, was uns von der Außenwelt abschirmt, das unser Inneres vor allen gewaltsamen Eindrücken schützt. Piercings und Tattoos durchstoßen diese Schutzschicht, sind ein Zeichen für eine Verletzlichkeit und eine Empfänglichkeit von Kunst. Wir lassen es zu, dass Kunst in uns eindringt und uns seelisch oder körperlich verändert. Tattoos und Piercings haben zusätzlich die Funktion, den Körper möglicherweise zu verschönern, oder Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu zeigen.“ Eine ähnliche Veränderung, erklärt er, mache jeder Mensch durch, der bei einer Theatertragödie weine, oder bei einer Komödie herzhaft lache. Es mache etwas mit dem Körper, verändere ihn.

Das letzte Wort des Affen

Im Mai dieses Jahres nahm der Professor als Referent an den Wuppertaler Zoogesprächen teil, und sprach dort über die Darstellung von Affen in literarischen Texten. Unter dem Titel „Erste und letzte Worte des Affen in der Literatur“ berichtete er dort über Beispiele sprechender Affen in Romanen und zeitgenössischen Berichten. Von Franz Kafkas Affen aus dem Bericht für eine Akademie, der zu Beginn ganz einfach „Hallo“ sagt, über Presseinformationen zu Zirkusaffen des 19. Jahrhunderts, bis zu Affen, die in Familien erzogen wurden und denen man nachsagt, dass sie alle einzelne Worte artikulieren konnten.

Auch hier spielt das Thema Gewalt wieder eine entscheidende Rolle. „Bei den argentinischen Erzählern, die ich behandelt habe, geht es um die Frage: Wie bringe ich einem Affen das Sprechen bei? Das geht dann, ähnlich wie bei den Zirkusaffen, nur durch bestimmte Dressurakte. Diese Dressurakte sind notwendigerweise grausam und führen früher oder später zum Ableben des Affen“, berichtet er. „In diesen fantastischen Erzählungen sprechen die Affen teilweise kurz vor ihrem Tod noch ein Wort. Im Fall einer bestimmten Erzählung wird der Affe dadurch dressiert, dass man ihm nichts zu trinken gibt. Es ist für den Leser nicht klar, ob der Affe gesprochen hat, oder der Forscher dies nur hören wollte. Sein letztes Wort jedenfalls ist dann auch ,Wasser', was auf Spanisch ,agua' heißt, und einfach nur die Übersetzung des letzten Röchelns in Vokale sein könnte.“

Ein einzelnes Wort kann, wie in diesem Falle, den*die Leser*in tief berühren und noch lange nach der Lektüre beschäftigen. Für Prof. Chihaia ist es auf jeden Fall ein prägnanter Baustein seines kosmopolitischen Interesses an der historischen und zeitgenössischen Literatur der Kulturen unserer Welt.

UWE BLASS

Weitere Transfergeschichten: https://www.transfer.uni-wuppertal.de/de/transfergeschichten.html


Matei Chihaia studierte Komparatistik, Romanistik und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und an der University of Oxford, wo er einen Master of Studies in European Literature erwarb, und promovierte in München über das Theater der französischen Klassik (2000). Nach der Habilitation an der Universität zu Köln und Vertretungsprofessuren in Regensburg und Köln erhielt er das Heisenberg-Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). In Wuppertal lehrt er seit 2010 als Professor für Französische und Spanische Literaturwissenschaft, wo er Mitherausgeber des internationalen und interdisziplinären E-journals DIEGESIS ist. Als Gastdozent lehrte er am Bryn Mawr College (Institut d’Études françaises d’Avignon, Frankreich), an der Universidad Andina Simón Bolívar (Quito, Ecuador) sowie der Universidad Nacional de La Plata (La Plata, Argentinien).

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